Philaret der Barmherzige von Amnia in Kleinasien

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Gedächtnis: 1. Dezember

Vor vielen Jahren, als das griechische Imperium von der frommen Kaiserin Irina regiert wurde (Ende des 8. Jahrhunderts), lebte in einer der Provinzen Kleinasiens ein adeliger Mann namens Philaret mit seiner Frau Theoswa. Sie hatten drei Kinder, einen Sohn und zwei Töchter. Ihr Haus war wie eine “überfließende Vorratskammer”: eine Menge Vieh, ausgedehnte und fruchtbare Felder und eine große Zahl männlicher und weiblicher Leibeigener. In diesem Überfluss die Barmherzigkeit Gottes erkennend sagte Philaret häufig zu sich selbst: “Hat mir der Herr solchen Reichtum etwa nur für mich und meine Familie gegeben? Wie viele arme Menschen gibt es denn: Witwen, Waisen und Kranke, die nichts haben. Wer soll sie ernähren, wenn nicht wir, die Reichen?“

So zeigte sich Philaret mildtätig gegen die Bedürftigen, und alle Armen kamen zu ihm und bekamen das Erbetene. Sogar wenn ein Armer ein Pferd oder einen Esel brauchte oder irgendwelche Kleider, dann ging er mutig zu Philaret, wissend, dass dieser ihm nichts abschlagen würde. Und als ihm seine Frau vorhielt, dass er bei seiner Freigiebigkeit selbst bald zum Bettler werde, antwortete der hl. Philaret mit den Psalmworten: “Ich bin jung gewesen und alt geworden und habe noch nie gesehen den Gerechten verlassen oder seinen Samen nach Brot gehen.” (Ps. 36,25) Aber da geschah es, dass Moslems die Gegend überfielen, in der Philaret wohnte, das Land verwüsteten und zugrunde richteten, viele der Diener von Philaret in die Gefangenschaft führten und fast all sein Vieh stahlen. Sie schonten auch die armen Leute nicht: Der eine verlor sein Pferd, dem anderen nahmen sie die letzte Kuh weg. Alle eilten zu Philaret, und dieser versagte keinem die Hilfe. Er selbst wurde so fast mittellos; was ihm noch verblieb, waren ein Joch Ochsen, eine Kuh, ein Pferd und zwei alte Knechte, so dass er niemanden mehr hatte, den er auf die Felder schicken konnte, und er selbst gehen musste, um das verbliebene Getreidefeld zu pflügen. Aber so wie sich jedermann sonst über Reichtum freut, so freute sich Philaret ber seine Armut, und erinnerte sich an die Worte Christi, dass es dem Reichen schwer falle, ins Himmelreich zu gelangen. Da verendete, als Philaret auf seinem Feld arbeitete, einem Landmann, der den Acker pflügte, der Ochse. Der Bauer musste darüber bitterlich weinen. “Was werde ich jetzt machen“, sprach er. „Wer wird mir jetzt einen Ochsen borgen, um das Feld zu Ende zu pflügen? Früher wäre ich zu Philaret gegangen, aber jetzt ist auch er verarmt. Nichtsdestoweniger, ich gehe zu ihm und werde meinen Kummer mit ihm teilen; so wird mir leichter werden.”

Als er Philaret von seinem Unglück erzählt hatte, spannte dieser sogleich seinen Ochsen aus und sagte: “Nimm, Bruder, diesen Ochsen; ich brauche ihn nicht, denn ich habe noch einen zu Hause.” Und dies sagte er mit solcher Freundlichkeit und Nachdruck, dass der Arme einverstanden war, sich vor Philaret bis zur Erde verneigte und den Ochsen mit sich führte.

Nachdem Philaret seine Arbeit beendet hatte, ging er nach Hause. Nicht mehr weit vom Tor entfernt, sah Theoswa ihren Ehemann mit einem einzigen Ochsen und fragte: “Und wo ist der andere?” Da verschwieg ihr Philaret die Wahrheit und sagte: “Der Ochse hat sich wahrscheinlich verlaufen, oder man hat ihn gestohlen, als ich in der Mittagshitze ausruhte.” Theoswa schickte daraufhin sogleich den Sohn, um den Ochsen zu suchen. Und er fand ihn auch bald im Joch des Bauern. Aber als der arme Mensch die ganze Geschichte erzählte, wie er zu dem Ochse gekommen war, blieb dem Jungen nichts anderes übrig, als mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren. Er traute sich nicht, den Ochsen an sich zu nehmen, den sein Vater verschenkt hatte.

“Wehe mir, Armen, mit so einem Ehemann!“, rief Theoswa aus, als sie von ihrem Sohn die Geschichte mit dem Ochsen erfuhr, „was werden wir tun, meine Kinder, wo euer Vater ein so unmenschlicher und grausamer Mensch ist. Er gibt alles her, und wir bleiben hungrig.” Danach ging sie zu Philaret und machte ihm den Vorwurf, faul zu sein, gleichgültig und im Übermaß besorgt um Andere, während es der eigenen Frau und den Kindern an Allem fehle. Philaret rechtfertigte sich nicht, sondern sagte lediglich: “Meine Frau, wir sind doch Christen. Höre doch, was der Erlöser seinen Jüngern befiehlt! Schaut auf die Vögel des Himmels; sie sähen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in Scheuern, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Wird er uns etwa nicht versorgen, die wir besser als die Vögel sind.“ Und mit anderen sanften Worten beruhigte und tröstete er seine Frau.

Noch keine fünf Tage waren vergangen, als derselbe Landmann mit großer Unruhe zu Philaret geeilt kam und sagte: „Zu deinem Leidwesen war es, dass ich deinen Ochsen nahm, denn ich hatte keinen großen Nutzen von ihm: er fraß irgend ein Kraut und verendete daran.” Noch hatte er seinen Satz nicht zu Ende gesprochen, als Philaret mit Eile seinen letzten Ochsen herbeiführte, und darum bat ihn zu nehmen: “Ich habe vor“, sprach er, „in ein fernes Land zu verreisen und möchte nicht, dass das Arbeitsvieh ohne Beschäftigung bleibt.” Da ging der Landmann mit dem Ochsen davon, verwundert über die Barmherzigkeit des hl. Philaret. Als man im Haus erfuhr, dass auch der letzte Ochse vom Hof geführt wurde, erhob sich Weinen und Seufzen. Unter Tränen wehklagte Theoswa: “Was für einen Mann hat mir denn Gott da gegeben! Er muss die eigene Familie hassen. Ein Paar Ochsen hatte uns Gott übriggelassen, damit wir nicht vor Hunger sterben müssen, aber er gibt auch diese weg.” Als die Kinder die Mutter in Tränen sahen, begannen auch sie zu weinen.

Philaret hatte nicht die Kraft, diesen Anblick zu ertragen, brach ebenfalls in Tränen aus, und sagte: „Warum nennt ihr mich unbarmherzig und glaubt, dass ich euch vor Hunger umkommen lassen will? Nein, an Hunger werdet ihr nicht sterben, denn an einem Ort habe ich so viele Schätze versteckt, dass sie uns auch für 100 Jahre reichen werden.”

Die Kinder beruhigten sich und alle überlegten, von was für Schätzen ihr Vater gesprochen hat. Aber der hl. Philaret hatte sie nicht belogen als er von Schätzen sprach: Er fühlte in seinem Herzen das Glück voraus, welches ihnen der Herr zu schicken bereit war.

Nach einiger Zeit brach eine Hungernot im Land aus. Als Philaret sah, dass im Haus kein Brot war, setzte er sich auf den Esel und ritt in einen entfernten Landesteil zu einem seiner Freunde. Von diesem Menschen borgte er sich sechs Maß Getreide und kehrte nach Hause zurück, froh darüber, dass er jetzt etwas hatte, um Frau und Kinder zu ernähren. Als er von dem langen Weg ausruhte, kam ein Armer zu ihm und bat ihn, ihm ein Maß Getreide zu borgen. Und Philaret sagte zu seiner Frau: “Gib diesem Armen ein Maß Weizen!” Sie aber antwortete: “Erlaube, dass zuerst deine Frau und deine Kinder satt werden! Am Besten wäre es, das Getreide aufzuteilen, damit sich hinterher niemand ärgert; gib ein Maß mir, eins den Kindern und Sklaven, und das Übrige gib wem du willst!” Philaret sah sie an, lachte und sprach: “Und mich hast du vergessen? Mir zweigst du nichts ab?” Seine Ehefrau antwortete darauf: “Du bist doch ein Engel, und kein Mensch; wenn du Essen bräuchtest, dann würdest du das geliehene Getreide nicht austeilen.” Da nahm Philaret zwei Maß Getreide und gab sie dem Bittenden. Die Ehefrau sagte ihm gereizt: “Gib noch ein drittes Maß, denn du hast ja viel Getreide!” Da wog der selige Philaret noch ein drittes Maß ab und entließ den armen Menschen in Frieden.

Einer der reichen Freunde von Philaret, der von der äußersten Armut, in welche diese tugendhafte Familie plötzlich geraten war hörte, schickte ihm 40 Maß Getreide. Theoswa freute sich sehr über diese Güte Gottes und sprach zu Philaret: “Mein Herr, gib mir und den Kindern unser Teil, gib den Nachbarn das Geschuldete zurück, und mit deinem Teil verfahre wie du willst.” Philaret tat so, wie seine Frau geraten hatte, aber seinen Teil hatte er innerhalb von zwei Tagen an Arme verteilt. Als sie sah, dass ihr Mann unverbesserlich war, entschied Theoswa, ihn nicht an den gemeinsamen Tisch zu lassen, und sie begannen verborgen vor Philaret zu essen. Einmal, als die Kinder mit der Mutter aßen, trat Philaret zu ihnen herein. „Nehmt mich auf, Kinder“, sagte er, „wenn schon nicht als Vater, dann doch wenigstens als Fremdling!” Sie lachten und sagten: “Setz dich an den Tisch, Papa; wenn er auch karg ist, für dich reicht es!”

Während des Essens sagte Theoswa zu ihrem Ehemann: “Warum hast du uns bis heute nicht den Schatz gezeigt, von welchem zu sagtest, dass er uns für das ganze Leben reiche? Wenn du uns nicht angelogen hast, dann zeige uns, wo er versteckt ist. Dann kaufen wir alles, und du kannst wie früher mit uns essen.” Hierauf antwortete Philaret: “Geduldet euch ein wenig, und bald werdet ihr großen Reichtum erwerben!”

Zu dieser Zeit herrschte die fromme Irina mit ihrem Sohn Konstantin. Als die Zeit kam, dass der Kronprinz heiraten sollte, sandte die Kaiserin ihre Würdenträger in das ganze Reich, um eine für ihren Sohn würdige Braut zu suchen. Es ergab sich, dass die Würdenträger auch in das Land kamen, wo der hl. Philaret lebte. Aus der Ferne sahen sie sein Haus, welches durch seine Größe und Pracht auffiel. Und obwohl ihnen gesagt wurde, dass in diesem Haus sehr arme Menschen wohnten, die zu besuchen sinnlos sei, befahlen sie dennoch, dem Hausherrn ihren Besuch anzukündigen. Philaret empfing die hohen Gäste mit großer Freude, und ihnen zur Begrüßung entgegen gehend, verbeugte er sich vor ihnen bis zur Erde und sprach die Worte: “Mir ist es eine große Ehre, dass ich für würdig befunden wurde, solche Gäste in meinem Haus zu empfangen.” Dann befahl er seiner Frau, für die kaiserlichen Angestellten ein gutes Abendessen zuzubereiten. Aber Theoswa antwortete: „Aus was soll ich es zubereiten? Wir haben doch nicht einmal ein Huhn im Haus! Es sei denn, ich koche einen Schwan; aber auch diesen ohne Öl, an dessen Geschmack wir uns fast nicht mehr entsinnen können“.

Aber sie hatte den Satz noch nicht zu Ende gesprochen, da öffneten sich die Türen, und reiche Nachbarn traten ein, die als Geschenk Öl, Geflügel, Wein und Brot mitbrachten, damit die vornehmen Gäste bewirtet werden konnten. Aus all dem bereitete Theoswa eine schmackhafte Mahlzeit und deckte den Tisch im Obergemach. Diese kaiserlichen Gesandten wunderten sich, ein so prachtvolles Obergemach zu erblicken, mit einer großen Tafel aus Elfenbein und goldenen Verzierungen, ganz trefflich gearbeitet. Am Tisch bedienten der Sohn von Philaret und die Enkel. Die kaiserlichen Gesandten fragten den seligen Philaret: “Ehrwürdiger Mann, hast du eine Gattin?” Er antwortete: “Ich habe eine, und das sind meine Kinder und Enkel.” Als Theoswa hereinkam und die Gäste mit einer ehrbaren Verbeugung begrüßte, fragten sie sie, ob sie nicht jungfräuliche Töchter hätte. Sie sagte, dass ihre älteste verheiratete Tochter drei jugendliche Töchter habe, die bei ihr seien, in der Frauenhälfte des Hauses. Da erklärten die kaiserlichen Gesandten, mit welchem Ziel sie gekommen waren, und baten, ihnen die Jungfrauen zu zeigen. Als die Gesandten ihrer gewahr wurden, waren sie erschüttert von der Schönheit von Philarets Enkelinnen und riefen aus: „Gott sei Dank, der uns das Glück gab, zu finden, was wir suchen. Ohne Zweifel, eine dieser Jungfrauen wird die Gattin unseres Kaisers: noch schönere werden wir bestimmt nicht mehr finden.”

Auf der Stelle wurde der ganzen Familie befohlen, sich zur Reise zu rüsten. Zu dieser Zeit kamen in der Hauptstadt aus dem ganzen Reich eine große Zahl Jungfrauen zusammen, aus denen sich der junge Kronprinz eine Braut aussuchen sollte. Eine nach der anderen wurden die jungen Mädchen vor die Kaiserin-Mutter geführt, strahlend vor Jugend, Schönheit und prachtvoller Bekleidung. Der junge Kaiser und der Würdenträger, welcher den kaiserlichen Palast verwaltete, weideten sich an dem Anblick und stellten jeder Jungfrau ein Paar Fragen. Als die Enkeltöchter von Philaret hereingeführt wurden, gefiel die älteste, Maria, wegen ihrer demutsvollen Erscheinung und ihren verständigen Antworten sowohl dem Kaiser als auch seiner Mutter am besten. Gerade sie wählte sich der Kaiser auch zur Frau, und ihre Schwestern schlossen ebenfalls bald mit reichen und bedeutenden Würdenträgern die Ehe. Die ganze Familie von Philaret wurde in der Hauptstadt zurückgehalten und mit Häusern allen möglichen Gütern beehrt. Da erinnerten sie sich auch an das Wort des hl. Philaret von dem versteckten Schatz, welcher ihnen für viele Jahre reichen wird.

Als Philaret nun von Neuem reich geworden war, vergaß er wie früher nicht die Bettler und Armen und tat ihnen noch mehr Gutes. Oft versammelte er sie bei sich zu Hause, bediente sie persönlich bei Tisch und entließ jeden von ihnen mit einem Goldstück. In ganz Konstantinopel gab es keinen Bettler, der nicht von der Freigiebigkeit von Philaret wusste.

Als der Herr dem Seligen sein baldiges Ende offenbarte, rief er seine Kinder und Enkel zusammen und sprach zu ihnen: „Meine Kinder, ihr habt gesehen was für ein Leben ich geführt habe! Ich habe nicht von anderer Leute Arbeit gelebt, sondern habe mein Brot selbst erarbeitet. Ich wurde nicht überheblich über den Reichtum, den ich von Gott bekommen habe. Ich bin vor dem Stolz geflohen und habe die Demut geliebt. Als ich arm wurde, habe ich nicht getrauert, noch Gott gelästert, sondern ihm dafür gedankt, dass er mich gezüchtigt hat. Danach hat mich Gott noch mehr erhöht; aber ich habe mich auch da nicht überhoben, sondern den Reichtum, den Gott mir geschickt hat, gab ich durch die Hände der Armen dem Himmlischen König wieder. Lebt auch ihr so. Schätzt den rasch vergehenden Reichtum nicht hoch ein, sondern bringt ihn in das Land, wohin ich mich jetzt aufmache. Vergesst nicht die Fremden zu trösten, steht den Witwen bei, helft den Waisen, besucht die Kranken und die in den Gefängnissen Sitzenden, geht fleißig in die Kirche, eignet euch nicht fremdes Gut an, kränkt niemanden, redet nicht böse, freut euch nicht über Unglück, auch nicht über das der Feinde, begrabt die Toten und gedenkt ihrer in der Kirche. Und in euren Gebeten erinnert euch an mich Unwürdigen, solange als ihr nicht selbst in das selige Leben hinübergeht.”

Danach segnete Philaret jeden von ihnen, und betend befahl er seinen Geist dem Herrn, 90 Jahre alt geworden.

Einen ergreifenden Anblick stellte die Beisetzung des Gottesfreundes dar. Den Leib des Heiligen begleitete eine große Volksmenge, und eine Vielzahl von Bettlern, nicht nur aus der Hauptstadt, sondern auch aus anderen Städten und Ortschaften, kam zu seiner Beisetzung. Alle weinten bitter, da sie ihren so erbarmungsvollen Wohltäter verloren hatten.

Durch seine Gebete soll der Herr auch uns lehren, Mitgefühl mit den Armen zu haben, und ihnen großzügig zu helfen, indem wir uns an die heiligen Worte erinnern: “Wer sich des Armen erbarmt, der leiht Gott selbst etwas.”


Quelle: Dieser Text stammt aus: "Orthodoxe Heiligenleben", Vorabdruck im Internet]. Mit freundlicher Genehmigung der Rechteinhaber.