Jungfrauengeburt
Der Begriff Jungfrauengeburt bezieht sich in der christlichen Theologie im allgemeinen und in der orthodoxen im besonderen auf den Umstand, dass die Jungfrau Maria den Sohn Gottes, Jesus Christus, geboren hat.
Johannes R. Nothaas: Die Jungfrauengeburt – ein dogmatisches Muss?
Im Anfang des Johannesevangeliums heißt es vom Logos, der johanneischen Bezeichnung des Gottessohnes: „Er kam in sein Eigentum...“ Das ist nach dem Zusammenhang hier der Kosmos (griech. eis ta idia). Er kam zu den Seinen (griech. oi idioi) Er kam nicht aus dem Kosmos, sondern in den Kosmos. Er kam nicht aus den Menschen, sondern zu den Menschen. In seinem Kommen in den Kosmos und zu uns Menschen tritt er von außerhalb in den Rahmen menschlichen Seins, in Raum und Zeit. Der Evangelist Johannes drückt diesen Eintritt des Gottessohnes mit den einfachen Worten aus: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns ...“ (Joh 1,14). Es heißt nicht: Das Fleisch wurde Wort, sondern dass das Wort Fleisch wurde.
Mit dieser Aussage über seine Menschwerdung steht in engem Zusammenhang der Satz des Apostolischen Glaubensbekenntnisses, dass Christus von der Jungfrau Maria geboren sei. Im Lukasevangelium heißt es:
„Der Engel ... sprach zu Ihr (der Gottesgebärerin): ‚Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; deshalb wird auch das Heilige, das von dir geboren wird, Gottes Sohn genannt werden’“ (Lk 1,35).
Diese Aussage des Neuen Testaments zu hinterfragen oder zu problematisieren, heißt, die Kompetenz der menschlichen Vernunft zu überschreiten und in das Offenbarungshandeln Gottes interpretierend einzugreifen. Die Theologie darf hier so wenig wie an irgendeinem anderen Punkt die Frage aufwerfen, ob und wie dies möglich sei. Der Hinweis auf die Naturgesetze, nach denen eine Geburt aus einer Jungfrau unmöglich sei, ist ebenso unevangelisch, wie der Hinweis auf Gottes Allmacht, der alles, also auch dies, möglich sei. Die Aufgabe der Theologie besteht nicht in einer Begutachtung des göttlichen Handelns im Hinblick auf die Allmacht Gottes und ebenso wenig im Namen der Naturgesetze. Das Evangelium sagt uns nicht, was Gott kann, sondern was er tat, tut und tun wird. Dementsprechend hat sich auch die Theologie zu beschränken. Das Neue Testament sagt klar, dass die Mutter Jesu Christi eine Jungfrau war (Mt 1; 18,23,25).
Die Tatsache, dass Christus keinen irdischen Vater hat, weist hin auf seine Stellung über Raum und Zeit, d.h. auf seinen ewigen Ursprung.
Die Tatsache, dass er aus einer Mutter geboren wurde, weist darauf hin, dass er wahrhaft Mensch ist.
Beides vereint ergibt seine gottmenschliche Existenz: Seine Geburt aus der Mutter betont seine menschliche Natur (Immanenz). Seine jenseitige Herkunft betont seine göttliche Natur (Transzendenz). Die jungfräuliche Geburt Jesu Christi unterstreicht, dass seine Menschwerdung nicht die Entstehung einer neuen Person mit sich brachte. Wenn ein Kind von Menscheneltern geboren wird, beginnt eine neue Person zu existieren. Doch Jesus, der Mensch gewordene Christus, ist kein anderer als die zweite Person der göttlichen Dreieinheit. Darum begann mit seiner Geburt keine neue Person zu existieren, sondern die Person des Gottessohnes, die vor allem Sein war, begann neben seiner göttlichen Seinsweise ein Dasein als Mensch.
Erstveröffentlichung und Urheberrecht
Priester Johannes R. Nothhaas, Orthodoxe Gemeinde des Hl. Christophorus, Mainz. Bei Fragen an den Autor zum Artikel und dem orthodoxen Glauben: nothhaas@googlemail.com.
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